Dienstag, 19. Dezember 2023

Schwarz-Rote-Koalition in Hessen steht

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Wegen der latenten Probleme der Bundesregierung und der Kriege in Europa sowie Nahost ist ein wenig untergegangen, dass es in Hessen jetzt tatsächlich erstmals in der Geschichte des Bundeslandes eine CDU-SPD-Regierung gibt. Nachdem beide Parteien den Koalitionsvertrag gebilligt haben, tritt der Hessische Landtag am 18. Januar 2024 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Damit enden 25 Jahre Opposition für die SPD. Die ist davon so berauscht, dass man beim Betrachten ihrer Website den Eindruck haben könnte, nicht die CDU, sondern die SPD führe die Regierung an. Als Beispiel dafür möge der YouTube-Beitrag dort mit dem Titel ‘Eine für alle’ dienen.

Die Realität ist jedoch eine andere. Denn die CDU erhielt bekanntlich 34,6 Prozent der Stimmen bei der Landtagswahl, die SPD nur 15,1 Prozent. So stellt die CDU neben dem Ministerpräsidenten und dem Chef der Staatskanzlei sieben Minister, die SPD nur drei. Entsprechend ist auch weniger SPD- als CDU-Politik im vereinbarten Koalitionsvertrag enthalten. Dennoch haben 253 von 317 anwesenden Delegierten bei der SPD für den Koalitionsvertrag gestimmt. Bei der CDU gab es dagegen nur eine Gegenstimme. Vielleicht auch deshalb, weil die konkrete Ministerliste erst im kommenden Jahr vorgelegt werden soll. Ablehnung wegen persönlicher Betroffenheit kam somit nicht in Betracht.

Bezeichnend für die wahren Kräfteverhältnisse ist auch, dass Hessens SPD-Landesvorsitzende Nancy Faeser den Einstieg in die Schwarz-Rote-Koalition vor den Delegierten damit rechtfertigte, eine „Liebesheirat“ sei das angestrebte Regierungsbündnis nicht. „Es ist nicht alles gut in diesem Koalitionsvertrag", erklärte sie mit Blick auf den Entwurf des Regierungsprogramms. Beispielsweise seien dort Ziele in der Flüchtlingspolitik formuliert, „die außerordentlich wehtun“. Aber kein Einstieg in die Landesregierung hieße für die SPD, selbst weniger für Migranten tun zu können.

Was Faeser damit genau meint, wird ihr Geheimnis bleiben. Macht sie doch gerade als Bundesinnenministerin ungefähr dasselbe auf Bundesebene, was in Hessen geschehen soll. Das entsprechende Kapitel 4 („Aus Vernunft für Humanität und Ordnung bei Migration und Integration“) des Koalitionsvertrages benötigt auch nur elf der insgesamt 200 Seiten.

Wie eigentlich immer enthält der Koalitionsvertrag viel politische Prosa. So heißt es gleich zu Beginn: „Viele über Jahrzehnte gewachsene Gewissheiten gelten nicht mehr und zentrale Versprechen des Staates – wie Sicherheit und Wohlstand für alle – müssen auf neue Grundlagen gestellt werden. Diese Herausforderungen bewältigen wir gemeinsam – oder gar nicht. Wir bilden deshalb eine breite Hessenkoalition, die diese Grundlagen erneuert. Eine Koalition mit zwei Partnern: den sie tragenden Parteien und den Bürgerinnen und Bürgern. Eine mutige Koalition, die Debatten in die Mitte holt und sie führt, anstatt sie zu verdrängen. Die andere Meinungen anhört und ernst nimmt, auch wenn sie unangenehm sind. Eine Regierung, die das Vertrauen in unsere Demokratie stärkt, indem sie Probleme nicht nur beschreibt, sondern auch löst. Mit einem Programm, das die gesellschaftliche Mehrheit stärkt und gleichzeitig die Rechte von Minderheiten schützt.“

Was davon am Ende im Tagesbetrieb übrig bleibt, wird die Zukunft zeigen. Die Erfahrung lehrt („Fortschrittskoalition“), je blumiger die Versprechungen, umso härter wird der Aufprall in der Realität. Ein wenig enttäuschend ist, dass beide Parteien nur die „beste Bildung“ für Hessen wollen, wo die FDP doch schon einmal bei der weltweit besten Bildung angekommen war. Aber immerhin wird das Thema gleich als erstes Kapitel benannt und ihm werden 23 Seiten gewidmet. Der sichere und starke Staat kommt als Kapitel 3 auf 27 Seiten.

Die Wirtschaft kommt erst in Kapitel 7 ab Seite 101 vor. Das Kapitel beginnt, klar, mit dem Versprechen, „ein ambitioniertes Paket für Bürokratieabbau und Planungsbeschleunigung“ auflegen zu wollen. Wir fragen uns, wann sich mal eine Regierung traut, nicht davon zu sprechen, sondern es einfach mal zu machen. Es enthält für den stationären Handel durchaus ein lesenswertes Bekenntnis: „Lebendige und attraktive Innenstädte sind ein unverzichtbarer Bestandteil eines lebenswerten Landes. Sie benötigen attraktive Bedingungen für Handel, Gastronomie, Kultur und Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. Wir wollen den öffentlichen Raum als Begegnungsraum für die gesamte Bevölkerung stärken. Wir wollen daher den Erhalt und die Neugründung von Geschäften vor Ort fördern. Unser besonderes Augenmerk gilt dabei inhabergeführten Betrieben und Dorfläden.“ Doch auch dies haben wir schon häufig in Koalitionsverträgen gelesen, ohne dass die Umsetzung dann wirklich auch dauerhaft funktioniert hätte. Insgesamt werden zum Thema Wirtschaft 24 Seiten gefüllt.

Dagegen müssen sich Klima, Umwelt sowie „stabile und erneuerbare Energie“ mit 14 Seiten begnügen. Ob’s an den fehlenden Grünen in der Regierung liegt, lassen wir mal dahingestellt. Es ist halt auch schon viel zu dem Thema gesagt und beschlossen worden. „Stabile Finanzen und ein starkes Europa“ kommen zusammen als Kapitel 11 auf 17 Seiten, wobei elf Seiten auf den Bereich Finanzen entfallen.

Ob der hessische Koalitionsvertrag der Beginn einer neuen Freundschaft zweier ehemaliger Großkoalitionäre sein wird, die in der nächsten Schwarz-Roten-Bundesregierung mündet, wird sich erst zeigen müssen. Die Proportionen der Stimmenanteile in Hessen passen zumindest aktuell sehr gut zu den Werten im Bund. Am Wählervotum würde es derzeit also wohl nicht scheitern.


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

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