Dienstag, 30. Januar 2024

Ostdeutsche IHK-Präsidenten schreiben Brandbrief an Scholz wegen Ampel-Politik

Blogeintrag | Kommentare (0)

Eines muss man den Präsidenten der ostdeutschen IHKn lassen: Sie beweisen Mut. Zunächst einmal formaljuristisch. Denn nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVwerG) dürfen IHK-Gremien kein allgemeinpolitisches Mandat ausüben (vgl. Mi 22/20). Als solches könnte allerdings ihr Offener Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz verstanden werden. Auch wenn vieles, was in dem Brief steht, den Segen der Mitglieder der IHKn erhalten dürfte, bleibt fraglich, ob bei seinem Zustandekommen wirklich die Vorgaben des BVerwG eingehalten wurden. Allerdings ist eher unwahrscheinlich, dass ein ostdeutsches IHK-Mitglied gegen den Brief klagen wird. Auch inhaltlich geht der Brief über den normalen Inhalt eines Verbändeschreibens deutlich hinaus. Dazu unten mehr.

Zuvor wollen wir noch darauf hinweisen, dass die ungewöhnliche Aktion offenbar den DIHK, den Spitzenverband aller bundesdeutschen IHKn, aufgeschreck hatt. Denn nur sechs Tage nach den ostdeutschen Präsidenten haben sich vier Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft ebenfalls mit einem Zehn-Punkte-Katalog an den Kanzler gewandt. Peter Adrian (Deutsche Industrie- und Handelskammer), Rainer Dulger (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände), Siegfried Russwurm (Bundesverband der Deutschen Industrie) und Jörg Dittrich (Zentralverband des Deutschen Handwerks) fordern vom Bundeskanzler, die Politik müsse und könne „mit einem kräftigen Aufbruchssignal und langfristig verlässlichen, wirtschaftsfreundlichen Rahmenbedingungen bei den Unternehmen wieder Vertrauen aufbauen und Zuversicht für eine gelingende Transformation schaffen“. Wie das gehen könne, dazu haben sie zehn Vorschläge unterbreitet.

Weniger diplomatisch drücken sich die ostdeutschen IHK-Präsidenten aus, womit wir wieder beim Inhalt des Briefes wären. Sie registrieren „einen sich zuspitzenden Dauerkrisenmodus“ der regionalen Wirtschaft. Die Ursache sehen sie darin, „dass ein bewährtes wohlstandsflankierendes Prinzip der Bundesrepublik mehr und mehr verloren geht, nämlich die aktive Einbindung verschiedener Interessen in den politischen Prozess“. Stattdessen mache sich eine Kultur des „Entscheidens ohne Einbindung“ und „ein eklatanter Unterschied zwischen Worten und Taten der Bundesregierung“ breit.

Aus „vielen Brandherden“, die bereits vorher bestanden hätten, könne durch den Umgang der Bundesregierung mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit des Haushalts 2021 „ein Flächenbrand werden“. Die Landwirte und Teile des Mittelstands rebellierten gegen zunehmende, sehr kurzfristig beschlossene Belastungen, bei wichtigen Schlüsselvorhaben der Wirtschaft werde gekürzt und bei Kostenentwicklungen im Energie- und Baubereich sei keine Planungssicherheit gegeben, „weder für Verbraucher noch für Unternehmen“.

Massiv kritisieren die Präsidenten auch die Energiepolitik im Zeichen der weltpolitischen Lage. „In einer Situation, in der wesentliche Engpässe und damit verbundene Planungsunsicherheiten zu bewältigen sind, verabschieden wir uns in Deutschland von grundlastfähigen Technologien und schaffen es nicht, die Voraussetzungen für einen schnellen und unkomplizierten Ausbau der erneuerbaren Energien im unternehmerischen Umfeld sicherzustellen.“

Das „desolate Bild der Bundesregierung in der Öffentlichkeit und die aufgeheizte Stimmung im ganzen Land“, so lautet ihr Fazit, „sind hausgemacht und, nicht zuletzt mit Blick auf die anstehenden Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, Wasser auf die Mühlen extremer Kräfte. Das bereitet uns große Sorgen.“ Man darf annehmen, dass diese Botschaft im Bundeskanzleramt durchaus verstanden wird, auch wenn die Analyse dort wahrscheinlich nicht geteilt wird. Doch sicherheitshalber werden die Präsidenten noch deutlicher:  „Wenn sich an Ihrem Handeln und Auftreten nichts grundlegend ändert“, lassen sie Scholz wissen, „fürchten wir, dass ein ostdeutsches Bundesland nach dem nächsten zu einem Sehnsuchtsort für Rechtsextremisten und wirtschaftlich zum Transitland verkommt.“


Verfasst von: Frank Schweizer-Nürnberg | Kommentare (0)

Zurück zum Blog

Kommentar verfassen

Bitte beachten Sie bei Ihren Kommentaren unsere Netiquette