Mittwoch, 07. Februar 2024

Isar 2 und die Grundsatzprogramme der CDU und CSU: Glaubwürdig ist, wer nach seinen Grundsätzen handelt

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Die vielleicht gefährlichste der multiplen Krisen, die Deutschland ereilt haben, ist die Kommunikationskrise. Sie äußert sich darin, dass Argumente nicht nach ihrem sachlichen Gewicht, sondern nach ihrer vermeintlichen Absicht beurteilt werden. Als ob es nicht auf den Abgrund ankäme, vor dem jemand warnt, sondern auf die Intention, mit der er oder sie das tut. Ein Beispiel dafür ist die Nutzung der Kernenergie.

Glaubt man Manfred Haferburg, einem führenden Experten in Fragen der Kernenergie, tut sich bei der Nutzung von Atomstrom in Deutschland ein Abgrund auf. Er nennt ihn 'Fadenriss' und meint damit, ein Wiedereinstieg in die Technologie in den nächsten 25 Jahren werde ausgeschlossen sein. Das Ereignis, an dem Haferburg den 'Fadenriss' festmacht, ist der Genehmigungsbescheid für die Stilllegung des Atomreaktors Isar 2 durch die bayerische Umweltbehörde. Beantragt wurde die Stilllegung durch den Betreiber des Atomkraftwerks, die PreussenElektra GmbH, im Jahr 2019. Mit der Genehmigung, meint Haferburg, sei im März dieses Jahres zu rechnen.

Was aber kümmert uns das Ende einer Technologie, von der sich der Deutsche Bundestag bereits im Jahr 2011 verabschiedet hat? Hier wird es spannend. Im Entwurf des neuen Grundsatzprogramms der CDU heißt es in Zeile 91/92 und 1778: Wir können zurzeit nicht auf die Option Kernkraft verzichten.“ Wie ist dieser Satz zu verstehen, wenn nicht so, dass die Möglichkeit für einen Wiedereinstieg in die Nutzung von Atomstrom aufrechterhalten werden muss, solange keine effektiven Alternativen zur Verfügung stehen? Folgt man diesem Verständnis, dann müsste – wieder unterstellt, dass Haferburg recht hat – die CDU alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um zu erreichen, dass eine Stilllegung von Isar 2 solange nicht erfolgt, bis das „zurzeit“ überwunden ist.

Sicherlich: Noch ist das Grundsatzprogramm nicht verabschiedet. Aber was taugt ein Programm, das bei seiner Verabschiedung in einem wesentlichen Teil de facto überholt sein wird? Richtig ist auch, dass die Genehmigung zur Stilllegung in die Befugnis einer staatlichen Behörde fällt, nicht in die einer Partei. Aber das bayerische Umweltministerium, um das es geht, wird von einem Ministerpräsidenten angeleitet, der der Schwesterpartei der CDU angehört. Und die CSU hat, wie es sich für eine bayerische Partei gehört, ein eigenes Grundsatzprogramm. In diesem Programm steht, man wolle sich beim Umwelt- und Klimaschutz „nicht auf eine Technologie“ beschränken, sondern „technologieoffen auf alle Instrumente setzen, die dabei helfen sollen, die Klimaschutzziele zu erreichen (S. 59). Also auch hier das gleiche Resultat: Laut gültigem Parteiprogramm der CSU und gemäß dem CDU-Grundsatzprogramm in spe ist die Möglichkeit des Wiedereinstiegs in die Atomenergienutzung offenzuhalten. Genau genommen geht die Aussage im Grundsatzprogramm der CSU sogar noch weiter, weil sie nicht nur das Offenhalten von Optionen verlangt, sondern auch den Einsatz der zugehörigen Instrumente.

Es läge deshalb nahe, dass CDU und CSU sich mit der Argumentation von Experten wie Manfred Haferburg beschäftigen. Stimmt sie, ist eine öffentliche Diskussion dringend erforderlich. Bei der öffentlichen Meinungsbildung in relevanten Sachfragen mitzuwirken, ist die vornehmste Aufgabe bürgerlicher Parteien. Umso bedenklicher muss es stimmen, wenn Manfred Haferburg im gleichen Text, in dem er dazu aufruft, Isar 2 zu retten, schreibt, kein Vertreter einer Partei aus dem bürgerlichen Lager sei bereit, sich mit ihm über seine Argumente auszutauschen. Sollte das stimmen, wäre es ein schlimmes Zeichen für das Ausmaß der Kommunikationskrise, in der wir uns befinden. Viel schwerer als der argumentative Nachweis, dass Haferburg oder ein anderer Experte, der das gleiche oder etwas anderes vorträgt, recht oder unrecht hat, wiegt das Verschweigen einer nicht opportunen Sichtweise. Die Verweigerung einer Diskussion über relevante Inhalte ist ein Kardinalfehler in einem medial organisierten modernen Gemeinwesen. Sie käme einer Selbstverleugnung des Auftrags gleich, den Parteien in einer liberal verfassten Demokratie haben. 


Verfasst von: Gregor Kuntze-Kaufhold | Kommentare (0)

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